Rechtsprechung
Urteil des Bundesgerichts 4A_383/2022 vom 25. September 2023
Das Arbeitgeberprivileg wird nur durchbrochen, wenn die Arbeitgeberin selbst (bzw. eines ihrer Organe) einen Berufsunfall mindestens grobfahrlässig (mit-)verursacht hat. Ein grobes Verschulden einer Hilfsperson reicht nicht aus. Der Organbegriff ist in diesem Zusammenhang nicht extensiv auszulegen.
Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 28. Januar 2022 (ZB.2021.44, rechtskräftig)
Bei einem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung müssen Tatsachen, die mittels des beantragten Beweismittels geklärt werden sollen, lediglich (aber immerhin) substantiiert behauptet werden. Die übrigen Tatsachen, aus denen die Gesuchstellerin ihre behaupteten materiellrechtlichen Ansprüche ableitet, müssen darüber hinaus glaubhaft gemacht werden, andernfalls das Gesuch abzuweisen ist.
Urteil des Bundesgerichts 4A_494/2020 vom 24. Juni 2022
Privatgutachten bilden als blosse Parteibehauptungen keine taugliche Basis für ein Gerichtsgutachten. Werden Baumängel vor einer gerichtlichen Beweisabnahme saniert, können daher weder der Bestand noch die Kausalität der behaupteten Mängel im Rahmen eines Gerichtsgutachtens unabhängig geklärt werden.
BGer 4A_179/2021 vom 20. Mai 2022 (zur Publikation vorgesehen) – Grobes Selbstverschulden als Entlastungsgrund nach Art. 40c EBG
Nach Art. 40c EBG wird der Inhaber eines Eisenbahnunternehmens von der Haftpflicht entlastet, wenn ein Sachverhalt, der ihm nicht zugerechnet werden kann, so sehr zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, dass er als dessen Hauptursache anzusehen ist (Art. 40c Abs. 1 EBG). Gemäss Art. 40c Abs. 2 EBG liegt ein solcher Sachverhalt insbesondere bei höherer Gewalt oder bei grobem Verschulden der geschädigten oder einer dritten Person vor.
Bei der Beurteilung, ob ein Sachverhalt vorliegt, der den adäquaten Kausalzusammenhang unterbricht, soll nach Meinung des Bundesgerichts ausschliesslich das objektive Verhalten des Dritten zum Einfluss der charakteristischen Betriebsgefahr der Eisenbahn in Beziehung gesetzt werden. Die Sorgfaltswidrigkeit soll sich aus dem Vergleich des tatsächlichen Verhaltens des Handelnden mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen ergeben. Ein grobes Selbstverschulden liegt vor, wenn eine geschädigte Person elementare Sorgfaltsregeln ausser Acht lässt, die eine vernünftige Person in der gleichen Lage beachtet hätte. Dabei ist grundsätzlich das Verhalten eines Durchschnittsmenschen in der gleichen Situation massgebend. Die geschädigte Person muss jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lassen, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte. Diese Voraussetzung ist bei einem völlig unbedachten und unbesehenen Betreten der Geleise der erfüllt, bei dem ein Fussgänger keinen Blick von seinem Mobiltelefon abwendet.
Daran ändert nichts, dass der über sein Mobiltelefon gebeugte Fussgänger heutzutage zum städtischen Strassenbild gehört und das Mobiltelefon die Ablenkung unserer Zeit schlechthin ist. Auch wenn damit zu rechnen ist, dass über ihr Mobiltelefon gebeugte Fussgänger achtlos die Strasse betreten, vermag ein solches Verhalten den adäquaten Kausalzusammenhang zu unterbrechen, weil es dabei im Ergebnis hauptsächlich um die Frage geht, wie weit dem Kausalhaftenden die Folgen seiner gefährlichen Tätigkeit, Anlage oder Sache billigerweise noch zugerechnet werden können.
BGer 4A_330/2021 vom 4. Januar 2022 (zur Publikation vorgesehen) – Gültigkeit eines Deckungsausschlusses für Covid-19-bedingte Geschäftsschliessung
Eine Klausel in einer Epidemieversicherung, wonach bei einer Pandemie der Stufe 5 oder 6 gemäss älterer WHO-Pandemiestufenordnung keine Versicherungsdeckung gewährt wird, ist nicht ungewöhnlich und greift im zu beurteilenden Fall.
Urteil des Deutschen Bundesgerichtshofs vom 16. September 2021 (IX ZR 165/19 = NJW 45/2021 3324 ff.) – Regress des Rechtsschutzversicherers auf den Anwalt des Versicherten wegen unterlassener Beratung über die Erfolgsaussichten
Nach Auffassung des Deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) kann der Rechtsschutzversicherer gegen den Anwalt des Versicherten wegen unterlassener Beratung über die Erfolgsaussichten eines Prozesses auf Ersatz der ihm durch den Prozess entstandenen Kosten klagen.
Der Rechtsschutzversicherer kann sich dazu auf § 86 Abs. 1 des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (VVG) stützen. Danach geht der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt.
Das Urteil ist für die Versicherer in der Schweiz interessant, weil sich § 86 Abs. 1 des deutschen VVG mit dem neuen Art. 95c VVG inhaltlich deckt: «Im Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistung tritt das Versicherungsunternehmen für die von ihm gedeckten gleichartigen Schadensposten in die Rechte des Versicherten ein.»
BGer 4A_25/2021 vom 24. August 2021 – Gegenstand des Entlastungsbeweises nach Art. 56 Abs. 1 OR (Tierhalterhaftung)
Die Beweislosigkeit über ein mögliches Fehlverhalten der Hilfsperson geht zu Lasten des beweisbelasteten Tierhalters.
BGer 4A_234/2021 vom 9. September 2021 bzw. Urteil des Kantonsgerichts Graubünden (ZK2 19 47) vom 15. März 2021 – Haftungsdurchbrechendes grobes Drittverschulden der Mutter infolge unvorsichtigen Überquerens einer Strasse
Haftungsdurchbrechendes grobes Drittverschulden der Mutter infolge unvorsichtigen Überquerens einer Strasse
BGer 4A_36/2021*: Aktivlegitimation in der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit und sekundäre Darlegungslast des Beklagten
Wenn neben den Gesellschaftsgläubigem Gesellschaftsgläubigern und/oder Aktionären auch die Gesellschaft (oder die Masse) direkt geschädigt ist, gilt die Priorität der Klage der Gesellschaft bzw. der Masse zur Verhinderung eines Wettlaufs zwischen der Gesellschaft bzw. der Masse und den direkt klagenden Gläubigern bzw. Aktionären zur Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen nur, wenn es wirklich zu einer Konkurrenz zwischen Individualklagen und Ansprüchen der Gesellschaft kommt. Gemäss BGer 4A_36/2021 ist dies bei einer aufrechtstehenden Gesellschaft regelmässig nicht der Fall. In dieser Situation rechtfertigt sich keine Beschränkung der Klagelegitimation.
Besteht im Prozess zwischen Kläger und Beklagtem in dem Sinne ein Informationsgefälle, dass die an sich behauptungsbelastete Partei den massgebenden Tatsachen ferner steht als die Gegenpartei und dieser ergänzende Angaben zum Geschehensablauf zumutbar sind, kann vom Kläger ein qualifiziertes (begründetes) Bestreiten verlangt werden.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. April 2021 (1 U 62/20): Vorteilsanrechnung beim Erwerbsausfallschaden infolge Entlastung der Ehefrau im Haushalt
Betätigt sich eine bei einem Verkehrsunfall geschädigte Person, welche die ihr in einer Verweistätigkeit verbleibende medizinisch-theoretische Erwerbsfähigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt nicht vollumfänglich verwertet, vermehrt im Haushalt und ermöglicht es dadurch seinem Ehegatten, die Erwerbstätigkeit zu steigern, ist der Erwerbsausfallschaden der geschädigten Person im Umfang des dadurch erzielten Vorteils zu reduzieren.

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