Merksätze

Betätigt sich eine bei einem Verkehrsunfall geschädigte Person, welche die ihr in einer Verweistätigkeit verbleibende medizinisch-theoretische Erwerbsfähigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt nicht vollumfänglich verwertet, vermehrt im Haushalt und ermöglicht es dadurch ihrem Ehegatten, die Erwerbstätigkeit zu steigern, ist der Erwerbsausfallschaden der geschädigten Person im Umfang des dadurch erzielten Vorteils zu reduzieren.

Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von 15 Wochenstunden bei einer Resterwerbsfähigkeit von 80% in einer Verweistätigkeit stellt (in Kombination mit der vermehrten Haushalttätigkeit) keine Verletzung der Schadenminderungspflicht dar.

Sachverhalt und Erwägungen

Im Urteil 1 U 62/20 vom 6. April 2021 hatte sich das OLG Düsseldorf mit der Klage eines bei einem Verkehrsunfall geschädigten Busfahrers auf Ersatz seines Erwerbsausfallschadens zu beschäftigen. Der Geschädigte war unfallbedingt nicht mehr in der Lage, seine angestammte Tätigkeit auszuüben. In einer Verweistätigkeit bestand jedoch eine medizinisch-theoretische Erwerbsfähigkeit von 80%. Trotz aktiver Bemühungen fand der Geschädigte lediglich eine Anstellung im Umfang von 15 Wochenstunden.

Der urteilende Senat war – ungeachtet der nicht substantiiert nachgewiesenen Arbeitsbemühungen des Klägers – überzeugt, dass Bewerbungsbemühungen des Klägers erfolglos geblieben wären. Das Gericht ging davon aus, dass die Chancen des Klägers, seine Arbeitskraft erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, mit Blick auf sein fortgeschrittenes Alter, seine bisher ausgeübte Tätigkeit, seine fehlenden Zusatzqualifikationen, die geringen EDV- und Sprachkenntnisse und seine weiterhin bestehenden gesundheitlichen Probleme gering waren. Das Gericht verneinte daher die von der Beklagten geltend gemachte Verletzung der Schadenminderungspflicht, «soweit der Kläger die im Jahr 2016 gefundene und auch aktuelle Bürotätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden ausübt und zudem seine Arbeitskraft durch vermehrte Haushaltstätigkeit einbringt» (Erw. 2b).

Vom daraufhin errechneten Erwerbsausfallschadenersatzanspruch des Klägers brachte das OLG den «Wert des Vorteils, den der Kläger dadurch erlangt, dass er einen größeren Anteil an der Haushaltstätigkeit übernimmt und es dadurch seiner Ehefrau ermöglicht, die Anzahl der Wochenstunden ihrer Arbeitstätigkeit zu erhöhen» in Abzug (E. 4). Die Tätigkeit des Klägers im Haushalt stelle «jedenfalls dann eine schadensmindernde wirtschaftlich sinnvolle Verwertung der ihm verbliebenen Arbeitskraft (vgl. BGH, Urteil vom 24.04.1979 – VI ZR 204/76, juris Rn. 21) dar, wenn ihr eine Vereinbarung mit der Ehefrau zugrunde liegt, aufgrund derer der Kläger seine eheliche Unterhaltsverpflichtung nunmehr im Wesentlichen durch die Haushaltstätigkeit erbringt und im Gegenzug die Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau dem Kläger gegenüber in höherem Maße durch deren Erwerbstätigkeit erfüllt wird» (E. 4). Unter Berücksichtigung der 15-stündigen wöchentlichen Arbeitstätigkeit des Klägers, der Notwendigkeit einer längeren Mittagspause und regelmässiger weiterer Pausen ging das Gericht davon aus, dass dem Kläger die zusätzliche Mithilfe im Haushalt nur in beschränktem Umfang möglich sei und legte den Vorteil in freier Schätzung auf 20% des Schadensbetrages fest.

Kommentar

Das vorliegende Urteil beschlägt die Grundsatzfrage, ob der Kongruenzgrundsatz im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu beachten ist, ob also insbesondere nur wirtschaftliche Vorteile, die der geschädigten Person selbst als Folge des schädigenden Ereignisses zufliessen, schadenreduzierend zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Fall reduzierte das OLG Düsseldorf den Erwerbsausfallschaden des Geschädigten, weil seine Ehefrau durch die Übernahme vermehrter Haushalttätigkeiten durch den Geschädigten entlastet wurde und in der Folge ein höheres Einkommen erzielen konnte. Dabei betont das OLG, dass der vermehrten Haushalttätigkeit des Geschädigten eine Vereinbarung mit seiner Ehefrau zugrunde liege, in der die jeweiligen Beiträge an den ehelichen Unterhalt (Erzielung von Erwerbseinkommen und Haushaltführung) zwischen den Ehegatten neu aufgeteilt werde. Ob die Anrechnung von Vorteilen Dritter nur zulässig ist, wenn die vom Vorteil profitierende Person und die geschädigte Person im Rahmen von familienrechtlichen Unterstützungspflichten zu einer Wirtschaftsgemeinschaft verbunden sind, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. 

Im Schweizerischen Schadensrecht ist bis heute umstritten, ob der Kongruenzgrundsatz im Rahmen der Vorteilsanrechnung gilt. Allerdings existieren auch in der Schweiz bereits Lösungen, die in eine ähnliche Richtung gehen wie das Urteil des OLG. So ist es bspw. in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass Familienangehörige insofern eine (eingeschränkte) Schadenminderungspflicht trifft, als sie im Rahmen einer zweckmässigen Umorganisation Tätigkeiten im Haushalt übernehmen müssen, die der geschädigten Person nicht mehr zumutbar sind, wenn die geschädigte Person sie im Gegenzug von anderen (leichteren) Arbeiten entlastet (vgl. BGer 1A.228/2004 E. 8.2.; Fellmann/Kottmann, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, N 2522 ff. m.w.H.).

Da in der Schweiz freiwillige Leistungen Dritter nicht im Rahmen einer Vorteilsanrechnung berücksichtigt werden dürfen, wäre die Anrechnung eines höheren Ehegatteneinkommens beim Erwerbsausfallschaden der geschädigten Person nur möglich, wenn den Ehegatten – analog zur Umorganisation im Haushalt – eine Schadenminderungspflicht treffen würde, er also verpflichtet wäre, einer anderen Verteilung der Beiträge an den ehelichen Unterhalt zuzustimmen. Ob die Rechtsprechung in der Schweiz auf eine Schadenminderungspflicht des Ehegatten zur Aufnahme einer (zumutbaren) Erwerbstätigkeit erkennen könnte, wenn er im Gegenzug im gleichem Umfang durch die geschädigte Person von der Haushaltführung entlastet wird, ist jedoch zweifelhaft.

Adrian Rothenberger

Adrian Rothenberger

Dr. iur. | Rechtsanwalt | Partner

rothenberger@fellmann-rechtsanwaelte.ch

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