von Walter Fellmann | 22. Juni 2022 | Rechtsprechung
Nach Art. 40c EBG wird der Inhaber eines Eisenbahnunternehmens von der Haftpflicht entlastet, wenn ein Sachverhalt, der ihm nicht zugerechnet werden kann, so sehr zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, dass er als dessen Hauptursache anzusehen ist (Art. 40c Abs. 1 EBG). Gemäss Art. 40c Abs. 2 EBG liegt ein solcher Sachverhalt insbesondere bei höherer Gewalt oder bei grobem Verschulden der geschädigten oder einer dritten Person vor.
Bei der Beurteilung, ob ein Sachverhalt vorliegt, der den adäquaten Kausalzusammenhang unterbricht, soll nach Meinung des Bundesgerichts ausschliesslich das objektive Verhalten des Dritten zum Einfluss der charakteristischen Betriebsgefahr der Eisenbahn in Beziehung gesetzt werden. Die Sorgfaltswidrigkeit soll sich aus dem Vergleich des tatsächlichen Verhaltens des Handelnden mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen ergeben. Ein grobes Selbstverschulden liegt vor, wenn eine geschädigte Person elementare Sorgfaltsregeln ausser Acht lässt, die eine vernünftige Person in der gleichen Lage beachtet hätte. Dabei ist grundsätzlich das Verhalten eines Durchschnittsmenschen in der gleichen Situation massgebend. Die geschädigte Person muss jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lassen, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte. Diese Voraussetzung ist bei einem völlig unbedachten und unbesehenen Betreten der Geleise der erfüllt, bei dem ein Fussgänger keinen Blick von seinem Mobiltelefon abwendet.
Daran ändert nichts, dass der über sein Mobiltelefon gebeugte Fussgänger heutzutage zum städtischen Strassenbild gehört und das Mobiltelefon die Ablenkung unserer Zeit schlechthin ist. Auch wenn damit zu rechnen ist, dass über ihr Mobiltelefon gebeugte Fussgänger achtlos die Strasse betreten, vermag ein solches Verhalten den adäquaten Kausalzusammenhang zu unterbrechen, weil es dabei im Ergebnis hauptsächlich um die Frage geht, wie weit dem Kausalhaftenden die Folgen seiner gefährlichen Tätigkeit, Anlage oder Sache billigerweise noch zugerechnet werden können.
von Walter Fellmann | 3. Januar 2022 | Rechtsprechung
Nach Auffassung des Deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) kann der Rechtsschutzversicherer gegen den Anwalt des Versicherten wegen unterlassener Beratung über die Erfolgsaussichten eines Prozesses auf Ersatz der ihm durch den Prozess entstandenen Kosten klagen.
Der Rechtsschutzversicherer kann sich dazu auf § 86 Abs. 1 des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (VVG) stützen. Danach geht der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt.
Das Urteil ist für die Versicherer in der Schweiz interessant, weil sich § 86 Abs. 1 des deutschen VVG mit dem neuen Art. 95c VVG inhaltlich deckt: «Im Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistung tritt das Versicherungsunternehmen für die von ihm gedeckten gleichartigen Schadensposten in die Rechte des Versicherten ein.»
von Walter Fellmann | 29. November 2021 | Rechtsprechung
Wenn neben den Gesellschaftsgläubigem Gesellschaftsgläubigern und/oder Aktionären auch die Gesellschaft (oder die Masse) direkt geschädigt ist, gilt die Priorität der Klage der Gesellschaft bzw. der Masse zur Verhinderung eines Wettlaufs zwischen der Gesellschaft bzw. der Masse und den direkt klagenden Gläubigern bzw. Aktionären zur Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen nur, wenn es wirklich zu einer Konkurrenz zwischen Individualklagen und Ansprüchen der Gesellschaft kommt. Gemäss BGer 4A_36/2021 ist dies bei einer aufrechtstehenden Gesellschaft regelmässig nicht der Fall. In dieser Situation rechtfertigt sich keine Beschränkung der Klagelegitimation.
Besteht im Prozess zwischen Kläger und Beklagtem in dem Sinne ein Informationsgefälle, dass die an sich behauptungsbelastete Partei den massgebenden Tatsachen ferner steht als die Gegenpartei und dieser ergänzende Angaben zum Geschehensablauf zumutbar sind, kann vom Kläger ein qualifiziertes (begründetes) Bestreiten verlangt werden.
von Walter Fellmann | 15. November 2021 | Rechtsprechung
BGer 4A_72/2021 vom 28. September 2021 klärt den Unterschied zwischen primären und sekundären Risikobeschränkungen: Primäre Risikobegrenzungen dienen als positive Leistungsbeschreibung der Festlegung der im Versicherungsvertrag übernommenen Risiken. Demgegenüber dienen die sekundären Risikobegrenzungen als Instrumentarium, das vom Versicherer übernommene Risiko zu begrenzen.