Merksatz
Sachverhalt und Prozessgeschichte
Die Gemeinnützige Baugenossenschaft A. liess im Rahmen der Realisierung von Ersatzneubauten Boden- und Wandbelägen im Bereich der Balkons und Nasszellen durch die B. AG erstellen. Die Planung und Bauleitung oblagen der E. AG und der F. AG.
Nachdem sich visuell feststellbare Feuchtigkeitsschäden zeigten, beauftragte die Gemeinnützige Baugenossenschaft den Fachexperten G. mit der Erstellung eines Gutachtens über die Mängel. Dieser erstellte zunächst drei Gutachten, in denen er bestimmte Wohnungen auf Mängel überprüfte, ein Mängelinventar erstellte, die Verantwortlichkeit der Bauleitung beurteilte. Schliesslich fasste er die ersten drei Gutachten sowie einen von ihm erstellten Bericht zur Sondierung einer Nasszelle in einem einzelnen Gutachten zusammen.
Schliesslich liess die Gemeinnützige Baugenossenschaft sämtliche 132 Balkons und zudem 63 von insgesamt 131 Nasszellen in Ersatzvornahme sanieren. Vor der Sanierung hatte die damit beauftragte H. AG den von ihr vorgefundenen Zustand fotografisch festgehalten.
Am 11. Dezember 2017 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die von der Gemeinnützigen Baugenossenschaft gegen die B. AG, die E. AG und die F. AG angehobene Klage auf Ersatz der Ersatzvornahmekosten von CHF 2’451’993.40 sowie eines Mangelfolgeschadens von CHF 214’975.45 ab, weil es der Klägerin nicht gelungen sei, die geltend gemachten Ansprüche bzw. die diesen zugrunde liegenden Tatsachen rechtsgenüglich darzutun bzw. zu beweisen.
Gegen dieses Urteil führt die Gemeinnützige Baugenossenschaft Beschwerde ans Bundesgericht.
Auszüge aus den Erwägungen des Bundesgerichts
In ihrer Beschwerde stellte sich die Gemeinnützigen Baugenossenschaft (nachfolgend: Beschwerdeführerin) unter anderem auf den Standpunkt, das Handelsgericht hätte ein auf die Fachgutachten von E. gestütztes Gerichtsgutachten in Auftrag geben müssen. Ein solches hätte ihren Standpunkt bestätigt. Das Bundesgericht erwog dazu unter anderem Folgendes:
5.3. Auch in Bezug auf den Nachweis der Mängel überzeugt die Beschwerde nicht. Parteibehauptungen, denen ein Privatgutachten zugrunde liegt, gelten zwar meist als besonders substanziiert (vgl. BGE 141 III 433 E. 2.6 S. 438). Mit diesen stellt eine Partei daher in der Regel hinreichend substanziierte Behauptungen auf. Wird zudem ein Gerichtsgutachten beantragt und kann der Gerichtsgutachter die Untersuchungen des Privatgutachters wiederholen, werden dessen Ergebnisse entweder widerlegt oder aber von unabhängiger Seite bestätigt. Diesfalls kann der Beweis mit dem Gerichtsgutachten erbracht werden, sofern es der Gegenpartei nicht gelingt, Zweifel am Gerichtsgutachten zu wecken. Der zu beurteilende Fall liegt aber anders, weil die Beschwerdeführerin die Mängel bereits beheben liess.
5.3.2. Das gerichtliche Gutachten soll erlauben, die Ergebnisse des Privatgutachtens durch einen unabhängigen Experten zu überprüfen. Konkret geht es namentlich in Bezug auf die Kausalität darum, alternative Ursachen auszuschliessen. Wie dies nach der erfolgten Sanierung noch möglich sein sollte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenüglich auf. […]
5.3.3. Es geht nicht an, einem Privatgutachten faktisch Beweiskraft zukommen zu lassen, indem eine unabhängige Überprüfung durch die Vornahme der Sanierung verunmöglicht wird, und dafür das Privatgutachten beziehungsweise die Zeugenaussage des Privatexperten zur wesentlichen Grundlage eines Gerichtsgutachtens gemacht werden, ohne dass diese Grundlagen vom Gutachter überprüft werden könnten. Wie die Fotodokumentation oder der amtliche Befund eine derartige Überprüfung nach der erfolgten Sanierung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermöglichen sollte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenüglich auf. Die blosse Behauptung reicht dazu nicht aus, die angebotenen Zeugenaussagen von mit der Sanierung betrauten Personen ebenfalls nicht, da diesen die Unabhängigkeit abgeht. […]
Kommentar
Der Umstand, dass es sich bei in Parteigutachten enthaltenen Feststellungen nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung um blosse Parteibehauptungen handelt, führt mit dem Bundesgericht zwingend zum Schluss, dass ein Parteigutachten keine ausreichende Basis für eine unabhängige Überprüfung der behaupteten Tatsachen durch einen Gerichtsgutachter bilden kann. Berechtigt ist daher auch die Feststellung des Bundesgerichts, dass die Beschwerdeführerin vorliegend aufgrund der bereits stattgefundenen Sanierung der behaupteten Werkmängel gar nicht mehr in der Lage sei, den (unabhängigen) Beweis des Bestandes, des Umfangs und der Kausalität der Werkmängel zu erbringen. Plant eine Bauherrin, einen (oder mehrere) Unternehmer für Mängel am Bauwerk zu belangen, tut sie daher gut daran, die notwenigen Beweise im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung (Art. 158 ZPO) zu sichern.
Im Rahmen der anstehenden Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung ist geplant, die Urkundenqualität von Parteigutachten ausdrücklich im Gesetz festzuhalten.[1] Ob dies an der vorliegenden Problematik viel ändern wird, bleibt abzuwarten, zumal die geplante Regelung die Gefahr in sich birgt, dass mehrere involvierte Parteien Privatgutachten ins Recht legen, die zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. In diesem Fall dürfte kaum ein Weg daran vorbeiführen, diese Widersprüchlichkeiten im Rahmen eines Gerichtsgutachtens verbindlich zu klären. Der gerichtliche Experte müsste daher auch in solchen Fällen in der Lage sein, gestützt auf eigene Feststellungen vor Ort die Parteistandpunkte überprüfen zu können. Auch in Zukunft dürfte es daher nicht nur günstiger, sondern auch sinnvoller sein, allfällige Werkmängel, deren Ausmass und Ursächlichkeit vor Beginn der Sanierungsarbeiten im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung verbindlich klären zu lassen.
[1] Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2020 2752.
Adrian Rothenberger
Dr. iur. | Rechtsanwalt | Partner
rothenberger@fellmann-rechtsanwaelte.ch
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